Jahr 2000
In den sechziger Jahren, dass weiß ich aus eigenem Erleben, war es in unseren Schulen sehr beliebt, insbesondere im Zeichenunterricht, Bilder Über das Jahr 2000 anzufertigen. Diese Jahreszahl hatte für uns etwas Magisches. Sie lag ganz weit in der Ferne. Bis dahin war es noch ein riesiger Zeitraum, der Platz für Spekulationen bot.
Entsprechend sahen auch unsere Bilder aus. Dieser Tage sah ich im Chemnitzer Hauptbahnhof ein Plakat, auf dem für eine Ausstellung geworben wird, die sich diese Zukunftsvisionen der damaligen Zeit zum Thema gemacht hat. Allein die Bilder auf diesem Plakat erinnerten mich sehr stark an unsere Kindheitsvisionen. Wir meinten damals: Im Jahr 2000 werden alle Menschen in Wolkenkratzern leben, jede Stadt hat ihren eigenen Raketenstartplatz, zugleich daneben, (weil wir ja unsere Natur nicht vergessen wollten), gibt es einen Pferdestall, natürlich nur mit Reitpferden.
Die Technik in Landwirtschaft und Industrie läuft wie von Geisterhand vollautomatisch und elektronisch gesteuert ohne menschliche Arbeit ab. Der arbeitende Mensch kommt bestenfalls vor als jemand, der sich die Hände nicht mehr schmutzig zu machen braucht, also an irgendwelchen Schaltpulten oder in einer Forschungsabteilung tätig.
Es war für uns Kinder damals ganz klar, dass das, was wir uns da ausgedacht hatten auf jeden Fall in Erfüllung geht, dass aber noch vieles mehr möglich ist und wahrscheinlich sogar eintreten wird. Schließlich waren wir davon überzeugt, (oder überzeugt worden?) dass wir mit steigendem technischen Fortschritt alle Probleme dieser Welt, wie Naturkatastrophen, das Nahrungsmittelproblem und sogar den Weltfrieden in den Griff bekommen würden. Was waren wir doch für fortschrittsgläubige Menschen. Wer hätte damals schon gedacht, dass die Menschen im Jahr 2000, statt in Wolkenkratzern wohnen zu wollen, nur eines im Kopf hätten: wie komme ich am schnellsten zu meinem Einfamilienhaus..? Nun gut, der Lack von dieser sogen. Fortschrittsgläubigkeit ist leicht angekratzt. Wenn ich selbst an unsere Kindheitsvisionen zum Jahr 2000 denke, so gehe ich diesbezüglich eher ernüchtert in das kommende Jahrtausend.
Aber Ernüchterung bedeutet ja nüchterner und sachlicher zu werden, und das kann auf alle Fälle kein Schaden sein, gerade bei der allerorts entstandenen Jahr 2000-Euphorie und der sie begleitenden völlig unsinnigen Zahlenmystik, die uns nichts weiter als Angst einflößen will. Da ist es schon gut, wenn man weiß, was diese Jahreszahl bedeutet und wozu solch ein Jubiläum überhaupt gut sein kann. Für mich ist diese Zahl ein Grund zu staunen, denn unsere Zählung setzt eben mit der Geburt des Jesus von Nazareth an. Man fing einfach neu an zu zählen, als es ein allgemeiner Konsens geworden war, dass mit der Geburt Jesu so etwas wie ein großer, bedeutsamer Einschnitt in die Geschichte der Menschheit stattgefunden hat. Die christen glauben, dass sich mit der Geburt Jesu die große Glaubensvision (damals sagte man Verheißung) erfüllt hat, dass Gott sich auf eine ganz besondere noch nie dagewesene Weise den Menschen zeigen und verständlich machen wird. Was mich daran erstaunt, ist die Tatsache, dass dieses Ereignis bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat. Es gibt auch heute nicht nur Menschen, die an dieser Botschaft festhalten, sondern ebenso Menschen, die sich ihr neu öffnen. Trotz aller Wirrnisse und schuldbeladener Vergangenheit der ca. 2000-jährigen Geschichte des Christentums erfahren sie den Kern der christlichen Botschaft als befreiend und sinnstiftend für ihr eigenes Leben. Wenn wir das als den tiefsten Grund der Jahrtausendfeier neu begreifen, können wir ganz hoffnungsfroh in die Zukunft blicken. So wünsche ich Ihnen allen Gottes Segen und natürlich auch Gesundheit, Erfolg und Freude im neuen Jahr 2000.