Gesucht - Gefunden

Ich erinnere mich an ein Erlebnis aus meiner Kindheit. Meine Eltern hatten mich, den Fünfjährigen, das erste Mal in einen Zoologischen Garten mitgenommen. Es war ein weiträumiges, parkähnliches Gelände mit vielen Wegen und Bänken zum Ausruhen. Nach einiger Zeit machten wir Rast und ich erkundete die nähere Umgebung unserer Bank, lief hierhin und dorthin und merkte auf einmal, dass ich die richtige Bank nicht wiederfand, auf der meine Eltern saßen.

Es sah alles so ähnlich aus, Büsche, Wege, Bäume, aber es war alles so fremd und bedrohlich. Unbekannte Menschen liefen an mir vorbei, doch meine Eltern - sie waren nicht darunter, sie waren verschwunden. Da packte mich die Angst und ich fing an zu weinen. Es war schrecklich, dieses Gefühl der Verlorenheit, mutterseelenallein zu sein auf der Welt.

Doch da hörte ich, wie jemand meinen Namen rief; eine vertraute Stimme, die ich kannte; die Stimme meines Vater, der mich suchte. Ich lief in die Richtung, aus der die Stimme kam und plötzlich spürte ich zwei kräftige Arme, die mich hochhoben und an sich drückten. Da war alles gut, die Angst war weg, ich fühlte mich frei und leicht, die Welt hatte nichts Bedrohliches mehr, ich wusste ja wieder, wo ich hingehörte und wem ich angehörte.

Kennen Sie auch manchmal dieses Gefühl des Verlorenseins? Es kann uns plötzlich überfallen oder dumpf in uns brüten. Es legt sich wie ein Grauschleier über unser Leben und läßt alles sinnlos erscheinen. Es tut gut, Menschen zu haben, die einem dann beistehen und nicht allein lassen. - Doch sind sie nicht unsere Schicksalsgefährten, auch wenn sie sich stark geben und das Leben zu packen scheinen? Brauchten sie nicht genau wie wir auch die andere Stimme, die uns beim Namen ruft, dass wir in der Fremde dieser Welt den vertrauten Klang aus der ewigen Heimat vernehmen?

Gott hat sich auf die Suche gemacht. Er kann es nicht mit ansehen, wie seine Menschenkinder ihm abhanden kommen und ihre eigenen Wege gehen. Gott kommt uns entgegen - mit offenen Armen. Jesus hat an Sie gedacht und an mich und an alle Verlorenen und Verlassenen, wenn er sagt:

Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.

Matthäus 11, 28 (Spruch für den 24. Juni; 2. Sonntag nach Trinitatis)

Werden wir ihm entgegen laufen und uns von ihm finden lassen? Es würde uns ähnlich ergehen wie mir, dem damals Fünfjährigen: Am Herzen des Vaters dürften wir aufatmen und frei sein. Wir hätten den Platz gefunden, wo wir hingehören und den EINEN, dem wir für immer angehören.

Pfarrer Ronald Sporn
Falkensteiner Anzeiger, Juni 2001