Fällt euch Reichtum zu

2001 Studieren macht durstig, selbst wenn man Theologie studiert und ganz besonders kurz vor oder nach den Sommersemesterferien. So fragte ich einen befreundeten Mitstudent nach einem langen Studientag: Hast du auch so einen Bierdurst wie ich? Er bejahte meine Frage, sagte aber gleich, dass er kein Geld mehr habe, um noch in die Kneipe zu gehen. Darauf sagte ich ihm, dass ich noch 20 Mark habe, und dass das wohl für uns beide noch zu dem einen oder anderen Bier reichen sollte. Also machten wir uns auf den Weg und fuhren mit der Straßenbahn in die Erfurter Innenstadt. Als mein Studienkollege in der Straßenbahn bezahlen wollte, öffnete er sein Portemonnaie, um eine Fahrkarte herauszunehmen. Da wir direkt nebeneinander standen, fiel mein Blick wie zufällig auf seine geöffnete Geldbörse und ich wollte meinen Augen nicht trauen, da steckte groß und deutlich ein Hunderter drin. So einen hatte ich schon lange nicht gesehen. Ich fragte meinen Mitstudenten: "Was ist denn das, da hast du doch Geld !?" Er antwortete darauf in aller Ruhe und auf mein Verständnis vertrauend: ja, aber damit muss ich noch den ganzen Monat auskommen." Ich war in diesem Moment so fassungslos, dass ich nichts erwidern konnte. Schließlich musste auch ich noch den ganzen Monat mit meinen 20 Mark Taschengeld auskommen. Und sie werden es kaum glauben, das Bier habe ich bezahlt, wie versprochen und mit einem gewissen Stolz.

Über diese Begegnung habe ich noch oft nachgedacht, und es ist mir erst allmählich klar geworden, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Mensch viel oder wenig Geld hat, sondern wie er allgemein zu diesen materiellen Werten eingestellt ist. Im Falle meines Mitstudenten hatte ich wirklich den Eindruck, dass er in diesem Augenblick regelrecht an dem Geldschein klebte, so dass er sich davon nicht trennen konnte. Es kam mir schon ein wenig zwanghaft Vor.

Im Monatsspruch aus der HI. Schrift lesen wir für den August im Psalm 62, 11: "Fällt euch Reichtum zu, so hängt euer Herz nicht daran !" Die Erfahrung, dass Reichtum auf eine einschleichende und einschmeichelnde Weise abhängig machen kann, ist so alt wie die Menschheit und niemand ist davor wirklich geschützt. Das Besondere daran ist, dass es, um diesen Prozess in Gang zu bringen, nicht einmal eines großen Reichtums bedarf. Manchmal reicht schon das aus, was wir Wohlstand nennen. Auch sollte man sich vor den - mitunter üblich gewordenen Verallgemeinerungen hüten, die nach dem doch etwas zu simplen Schema verfahren, dass alle Reichen schlecht und alle Armen gut seien. Denn es gibt auf beiden Seiten genügend Gegenbeispiele. Wenn aber ein Mensch eine "Krämerseele" hat, dann ist es egal, ob er viel oder wenig besitzt. In dein Maße wie er versucht mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln allein seinen Reichtum zu vermehren oder den Wohlstand zu sichern, steht er in der Gefahr, viel zu verlieren, z.B. Freunde ...

Offene Augen, offene Hände, ein offenes Herz und nicht zuletzt gute, offene Freunde wünscht Ihnen Ihr Pfarrer Konrad Köst

Pfarrer Konrad Köst
Falkensteiner Anzeiger, August 2001