Ruhe ist die erste Christenpflicht!?

Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft.

Psalm 62, 2

Kennen Sie das auch? Sie legen sich zum Schlafen nieder und finden einfach keine Ruhe. Vieles geht Ihnen durch den Kopf, was Sie ruhelos macht: Der ziehende Schmerz im Bein - steht mir eine Operation bevor? Die verletzenden Worte, aus mir herausgesprudelt, ehe die Tür ins Schloss fiel - kann es wieder gut werden zwischen uns? Die Bilder im Fernsehen: Flugzeugträger auf dem Weg in die Golfregion; Soldaten, die von ihren Familien Abschied nehmen; werden wieder einmal die Angstmacher und Scharfmacher die Oberhand behalten?

Was kann ich tun gegen die Unruhe, die in mir ist? Ein Beruhigungsmittel nehmen? Autogenes Training ausprobieren? Oder mich in die Arbeit stürzen, ohne Rast und Ruh tätig sein? Ablenkung suchen, nicht zum Nachdenken kommen? Oder mir ein dickes Fell zulegen, mich nicht aus der Ruhe bringen lassen nach dem Motto: "Immer mit der Ruhe, mein Lieber!"?

Manches mag helfen - jedenfalls eine Zeit lang - ich bin ruhig gestellt und wirke auf andere so: gelassen; überlegen; einer, der die Dinge im Griff hat. - Wirklich?

In meinem Inneren - da bleibt sie - die Unruhe. Sie kriecht in mir hoch, wenn ich wach liege; wenn ich mit mir allein bin; wenn der Alltagsrhythmus unterbrochen ist, im Krankenhaus zum Beispiel oder an Feiertagen, wenn ich mehr Zeit habe.

Vielleicht ist es Ihnen auch schon so gegangen: Sie treffen einen Menschen und wundern sich. Er lebt in der gleichen Welt wie Sie und hat ähnliche Probleme zu bewältigen und doch scheint etwas von ihm auszugehen, was mich neugierig macht: Gelassenheit und Ruhe - keine vorgetäuschte Fassade, sondern von innen ausgehend. - Was ist sein Geheimnis?

Im Gebetbuch der Bibel, den Psalmen, findet sich ein Satz, in dem ein Mensch seine Erfahrung ausspricht, die viele mit ihm und nach ihm gemacht haben: "Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe; von ihm kommt mir Hilfe." (Psalm 62,2 Monatsspruch für März 2003).

Der Philosoph Friedrich Nietzsche, der im christlichen Glauben aufwuchs und zum Gottesleugner wurde, hat es hellsichtig ausgesprochen: Ohne Gott - da bin ich "zur Winterwanderschaft verflucht, dem Rauche gleich, der stets nach kältern Himmeln sucht", rast- und ruhelos in einer kalten Welt, weil ich die Heimat verloren habe, aus der ich stamme; weil ich das Herz nicht mehr schlagen höre, das mich liebt.

Ob sich hier das Geheimnis lüftet? Am Herzen Gottes meinen Platz finden. Die Heimat wiedergewinnen, aus der ich fremd gegangen bin. Die rettende Hand ergreifen und das lösende Wort im Vertrauen annehmen, das Gott in unsere Welt hineingesprochen hat: JESUS - d.h. Gott hilft, Gott rettet - dies würde meinem leben Stand und Halt geben, Ruhe und Gelassenheit, Festigkeit und Klarheit. Ich muss nicht mehr aus mir selber leben und in meiner Unruhe mit mir allein bleiben.

Ich habe meinen Platz im Lebensraum der Gemeinde. Ich darf einkehren in den Ruheraum bei Gott und Zeit der Stille suchen, bevor der Tag beginnt oder wenn er zu Ende ist. Ich stelle mich bei Gott ein und lehne mich an ihn an, mit meinem Reden und meinem Schweigen, ähnlich wie es Menschen tun, die sich lieben. Das tut meinem Leben gut und dem der anderen auch. Denn "die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat. Und was der Beter Hände tun, geschieht nach seinem Rat." (Jochen Klepper),

Was auch immer geschieht, Gott ist und bleibt der Herr dieser Welt und auch meines Lebens. Ihm lebe und sterbe ich entgegen in der Gewissheit: "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag." (Dietrich Bonhoeffer).

Diese Ruhe in unsere aufgeregte Welt hineinzubringen, das wäre wirklich unsere erste Christenpflicht. Hätten Sie Lust mitzumachen, auch wenn Sie noch kein Christ sind? Es käme auf einen Versuch an.

Pfarrer i.R., Ronald Sporn
Falkensteiner Anzeiger, 27.02.2003