Wos an hiegetah is, dös muss mr ahnemme

Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?

Hiob 2, 10

Zugegeben: Es gibt Zeiten im Leben da läuft alles glatt. Die Kinder gedeihen. In der Ehe stimmt es. Das Geld ist zum Monatsbeginn auf dem Konto. Ich fühle mich fit und gesund. Ich mache Pläne für die Zukunft. Keine Frage: So gefällt mir das Leben, so könnte es weitergehen. Es fällt mir zwar nicht alles in den Schoß. Ich muss mich schon mühen und drehen. Aber bei Lichte besehen fällt mir vieles zu. "Das Schicksal meint es gut mit mir", sagen manche. Ich nehme das Gute gerne an. Als Christ bringe ich es mit Gott in Verbindung. Ich nehme es nicht nur so hin. Ich empfange es aus Gottes Hand. Ich danke ihm dafür.

Aber was ist, wenn sich das Blatt wendet, wenn eine Hiobsbotschaft nach der anderen mich trifft: Der Ehepartner geht fremd. Der Arbeitsplatz geht verloren. Die Rückenschmerzen gehen mir auf die Nerven. Bei einem Autounfall verlieren Schwiegersohn und Tochter das Leben.

Was nun? Soll ich auch das aus Gottes Hand annehmen, das Böse, Dunkle, Leidvolle? Ich gestehe: Das fällt mir schwer. Ich rebelliere dagegen. Ich reibe mich wund. Ich gebe auf. Ich werde stumm. Ich ziehe mich zurück. Es wird mir alles gleichgültig.

Ich kenne Menschen, die unter der Übermacht erfahrenen Leids so geworden sind,. Sie haben es hin-genommen, aber nicht an-genommen. Ich erinnere mich an einen Satz meiner Großmutter, der in ihrer vogtländischen Mundart so klang: "Wos an hiegetah is, dös muss mr ahnemme" (was einem hingetan = beschieden ist, das muss man annehmen). Also: sich nicht passiv drein ergeben, resigniert damit abfinden in einer falsch verstandenen Gottergebenheit, sondern es bewusst annehmen, sich dazu stellen, in sein Leben einbeziehen. Das geht nicht über Nacht. Es braucht Zeit, diese schwere Lektion zu lernen.

Ich frage: Was kann helfen, eine Krankheit anzunehmen, Verluste zu verschmerzen, Leid zu verarbeiten und dieses Leben unter völlig neuen und erschwerten Bedingungen wieder lieben zu können?

Ich erzähle was mir geholfen hat. Ich habe mich meiner Trauer und Tränen nicht geschämt. Ich habe sie zugelassen, aus mir herausgelassen. Ich habe mich nicht in mich selbst zurückgezogen. Ich habe Menschen gefunden, die mir zuhörten, die mir nicht vorschnell ins Wort fielen, die mich ihre Nähe spüren ließen, die mit mir und für mich gebetet haben. Ich habe aufgehört zu grübeln, mich mit Selbstvorwürfen zu quälen und nur nach rückwärts zu schauen. Ich habe das Vergangene als kostbares Geschenk in mein Leben hineingenommen und mich neuen Aufgaben und Begegnungen geöffnet. Ich habe ganz neu die Kraft der christlichen Gemeinde entdeckt als Raum der Geborgenheit und Ermutigung, den Schatz ihrer Lieder und Gebete, den Reichtum biblischer Erfahrung im Umgang mit Leid und Tod.

Ich habe erfahren, dass angenommenes Leid Menschen nicht zerbrechen muss, sondern sie reifer und empfindsamer machen kann, offener für die Vielfalt des Lebens und achtsamer auf die kleinen Dinge am Wegesrand. Ich habe gegen Gott aufbegehrt, ihm meine Angst und Verlorenheit in die Ohren geschrien: "Gott, warum hast du mir das angetan?", aber ich habe trotz allem an Gott festgehalten - vielmehr: Gott hat mich bei sich festgehalten. Ich bin von dem Gott, der mich schlägt, hingeflohen zu dem Gott, der mich trägt.

Ich weiß: Noch ist uns dieser Gott verborgen und scheint uns als ein Fremder, ja sogar als ein Feind, der uns Böses zufügt und Schmerzen bereitet. Aber es kommt der Tag, da werden wir ihn sehen, wie er ist. Da werden uns die Augen aufgehen, dass dieser Gott auf dem ganzen, langwierigen schmerzvollen Weg unseres Lebens unser Freund geblieben ist, der auch im tiefsten Dunkel unser Vertrauen verdient hat: "Schick, was du willst, es sei Liebes oder Leides, ich bin gewiss, dass beides aus deinen Händen quillt." Dies reicht, um bei Trost zu bleiben.

Pfarrer i.R. Ronald Sporn, Neustadt
Falkensteiner Anzeiger, 25.09.2003