Vergeltet nicht!

Während ich diese Zeilen schreibe, wandern meine Gedanken immer wieder zu den Bombenopfern von Madrid. Am 11. März explodierten gleich mehrere Bomben in verschiedenen Nahverkehrszügen, um die 1500 Verletzte und 200 Todesopfer! Wieder einmal wird uns vor Augen geführt: der Friede, in dem wir leben, ist äußerst brüchig. An vielen Orten dieser Welt herrscht Gewalt. Wir in Europa wähnen uns manchmal weit entfernt davon, und doch ist der Terror und die Gewalt so nahe! Was bedeutet es in dieser Situation, wenn wir im Monatsspruch für April lesen:

Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt.

1. Petrus 3, 9

Ganz gewiss sollen diese schlimmen Verbrechen damit nicht kleingeredet werden. Die Täter müssen verfolgt und zur Rechenschaft gezogen werden. Und doch wissen wir zugleich: Gewalt erzeugt häufig wieder Gewalt! Wir sehen dies im Irak, in Israel und an vielen Orten dieser Welt. Darum ruft dieses Bibelwort zur Besonnenheit auf. Es stimmt, politische Macht kommt wohl nicht ohne Gewalt als letztes Mittel aus, gerade um Unrecht und Willkür im Zaum zu halten. Das zweite gilt aber auch: Wer gedankenlos zurückschlägt, macht den Schaden oft noch schlimmer.

Nun, die meisten von uns sind - Gott sei Dank - bislang mit solchen schlimmen Ereignissen nicht direkt konfrontiert worden. Aber im kleinen gibt es vielleicht ähnliches in unserem Leben: Anfeindungen von Seiten der Kollegen, Insolvenz aufgrund unbezahlter Rechnungen, Verrat und Untreue in zwischenmenschlichen Beziehungen und und und ... All dies sind Schläge ins Gesicht. Und wir haben meist sofort einen Gedanken: zurückschlagen! Die Bibel mahnt: seid besonnen und berechnet die Folgen! Nicht, dass wir uns alles gefallen lassen sollten! Manchmal mag es sogar gerechtfertigt sein, zurückzuschlagen (hoffentlich aber nicht mit der Faust!). Bei allem gilt es aber im Blick zu behalten, dass unser Auftrag nicht im Zerstören, sondern im Segnen besteht. Friede entsteht nicht durch Gegengewalt, Friede entsteht durch Besonnenheit und Liebe. Kann ich in meinem Prozessgegner oder Konkurrenten noch den Menschen sehen, den Gott geschaffen hat? Kann ich zwischen den bösen Worten und der Person, die diese Worte gesprochen hat, trennen? Segnen heißt, die Liebe, die ich selbst von Gott empfangen habe, weiterzugeben. Auch an meinen "Feind"!

In der Bibel gibt es nach meinem Eindruck zwei Rezepte für den Umgang mit Unrecht und Gewalt. Das eine ist, diese Dinge offen zu legen. Gott will Wahrheit und Klarheit, und er selbst wird das Unrecht immer wieder ans Licht ziehen und die Übeltäter auch richten. Das andere aber gehört damit untrennbar zusammen: die Bereitschaft zur Vergebung. Auch dies will und tut Gott selbst ja immer wieder. Freilich gehört zur Vergebung auch die Reue.

Wenn Böses geschieht, muss es beim Namen genannt und geahndet werden, das ist keine Frage. Hinzukommen muss das zweite: dass wir in denen, die uns verletzen und Unrecht tun, immer noch Menschen sehen, die Gott geschaffen hat und segnen will.

Pfarrer Dr. Thomas Knittel