Du machst fröhlich

Du machst fröhlich, was da lebet im Osten wie im Westen

Psalm 65, 9

Es ist die Nacht vom 2. zum 3. Oktober 1990: Hunderttausende feiern in Berlin rund um das Brandenburger Tor den Vollzug der Deutschen Einheit. Und Millionen erleben es daheim an den Bildschirmen mit! Am nächsten Morgen kommen an die Tausend Menschen aus Ost und West in unserer Falkensteiner Kirche zu einem Dankgottesdienst zusammen. Vorn vor dem Altar ist ein großes Blumenbild gelegt, in Gestalt einer Karte des vereinten Deutschlands - mittendrin die Worte: „GOTT SEI DANK!“. Ich soll die Festpredigt halten und habe mir dafür ein Psalmwort gewählt, das genau das beschreibt, was uns an diesem Tag erfüllt: „Du machst fröhlich, was da lebt im Osten wie im Westen“.

Genau 18 Jahre später begegnet uns jetzt dieses Wort als Monatsspruch wieder. Kann man sagen, dass wir Menschen in Falkenstein heute noch über die damals vollzogene Einheit Deutschlands „fröhlich“ sind? Wobei mit „fröhlich“ in diesem Bibelvers nicht gemeint ist, dass man immer lustig und gut aufgelegt ist, sondern es hat die Bedeutung von „dankbar sein“ oder „zufrieden sein“.

Mir scheint, dass im Laufe der Jahre die Dankbarkeit immer mehr ab- und die Resignation immer mehr zugenommen hat. Wer traut sich heute noch, jemandem zu sagen: „Ich bin zufrieden, mir geht’s gut!“? – muss er nicht sofort mit der Entgegnung rechnen: „Du hast gut reden, aber schau mal meine Situation an!“? Jeder weiß, die Einheit Deutschlands brachte auch eine Menge Probleme mit: Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Korruption, Inflation, Unmenschlichkeit. Aber wir Deutschen sind in der Gefahr, dass wir nun nur noch von den Belastungen und Schwierigkeiten sprechen; dagegen nehmen wir das viele Gute, das uns die Einheit gebracht hat, für selbstverständlich hin, als hätte das einfach so zu sein.

Unser Bibelvers beginnt mit dem Wort DU – „Du machst fröhlich“. Damit ist Gott gemeint! Also nicht der materielle Wohlstand macht Menschen fröhlich - sondern das, was Gott tut. Wir sollten nicht vergessen, dass die Wende und die Wiedervereinigung Gottes Werk waren! Wir sollten nicht vergessen, von welchem unmenschlichen System uns Gott damals befreit hat! Dass wir wie in einem riesigen Zuchthaus eingesperrt waren und manchem von uns nicht mal gestattet war, seinen sterbenden Vater im anderen Teil Deutschlands zu besuchen! Wir sollten nicht vergessen, wie mit Andersdenkenden verfahren wurde und dass für die, die eine kritische Haltung gegenüber der DDR wagten, zuletzt schon die Internierungslager vorbereitet waren! Wir sollten nicht vergessen, mit welcher Arroganz konfirmierte Kinder alle möglichen Benachteiligungen zu spüren bekamen, bis dahin, dass ihnen der Zugang zu EOS und Studium verweigert wurde! Wir sollten auch nicht vergessen, dass die Wirtschaft der DDR zuletzt vor dem Bankrott stand! Wir sollten uns erinnern an die leeren Geschäfte und das Schlangestehen, und dass es in der DDR viele lebensrettende Medikamente einfach nicht gab! Erinnern wir uns auch noch an die verpestete Luft und die verseuchten Böden und Flüsse? Heute nehmen wir für selbstverständlich, dass das Telefon funktioniert und wir in richtigen Autos über glatte Straßen fahren - wissen wir noch, dass unser Telefonnetz seit 1928 nicht mehr modernisiert war und die Wartezeit auf einen Telefonanschluss in Jahrzehnten bemessen wurde, ebenso wie man auf einen Trabi 15 Jahre warten musste? Und wenn inzwischen ein Haus nach dem anderen modernisiert ist – haben wir vergessen, dass damals beinahe die ganze alte Bausubstanz marode und einsturzgefährdet war?

Es ist gut, wenn wir uns zum Tag der Einheit wieder an solche Dinge erinnern. Und vor allem daran, dass wir all das Gute wirklich Gott zu verdanken haben! Mit den entstandenen Problemen und Sorgen können wir uns an Gott wenden, statt über sie zu jammern. Aber jeder hat auch Grund zum Danken. Gejammer macht missmutig, aber Dankbarkeit macht froh. „Jeden Tag ein Klagelied weniger und ein Loblied mehr“ – das wäre eine gute Sache.

Es grüßt Sie herzlich Ihr Pfarrer Gneuß
Falkensteiner Anzeiger, 25.09.2008