Schuldschein - durchgestrichen

„Opa, kannst du mir Geld leihen? Ich zahl dir‘s auch zurück.“ Sie schreiben einen Schuldschein. „Fünfhundert Euro empfangen. Tilgung monatlich zehn Euro.“ Datum, Unterschriften. Es läuft wie vereinbart. Der Opa bekommt jeden Monat seine Rückzahlung. Der Enkel erfüllt sich einen lang gehegten Wunsch: ein eigenes Moped, sein erstes Fahrzeug. Bei der Feier seines 18. Geburtstages sagt Opa zu ihm: „Bring mir doch mal deinen Schuldschein!“ Er nimmt einen Stift und streicht alles durch. „Rückzahlung erlassen – geschenkt!“ Der Enkel kann‘s nicht fassen. Er fällt seinem Opa um den Hals. Schuldschein – durchgestrichen. Jubel und Freude. Das biblische Wort für diesen Monat hat einen ähnlichen Klang:

Gott hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und seine Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben.

Kolosser 2, 14

Auf den Schuldscheinen unserer Welt stehen andere Eintragungen: Durch Fahrlässigkeit Skifahrerin ums Leben gekommen. In Heimen Kinder geschlagen und Jugendliche drangsaliert. Durch den Holocaust mehr als 6 Millionen Juden umgebracht. Wiedergutmachungsleistungen, Entschädigungszahlungen, Schmerzensgeld – notwendige Zeichen guten Willens. Aber das Geschehene ist mit Geld nicht aus der Welt zu schaffen.

Was steht auf unserem Schuldschein? Was spricht gegen uns? Was klagt uns an? Vielleicht dies: Ich höre nur oberflächlich zu, wenn ein anderer mir sein Leid klagt. Ich schaue in meine Zeitung und nehme nicht wahr, dass es meiner Frau nicht gut geht. Ich schiebe den Besuch im Krankenhaus auf, weil mir die Worte fehlen am Bett eines Todkranken. Ich wohne mit meinem Nachbarn Tür an Tür und gehe grußlos an ihm vorbei. Ich merke, dass ich um mich selbst kreise, um mein Wohlbefinden besorgt bin, meine Interessen verfolge. Ich verteidige mich: Das macht doch jeder so. Ich spüre: Damit kann ich mich nicht herausreden vor der letzten Instanz. Sie wird mich zur Rede stellen: Ich habe dir das Leben gegeben; dich mit allem Nötigen versorgt; dir in schweren Zeiten beigestanden. Ich habe auf dein Vertrauen gewartet, deine Dankbarkeit, deine Liebe. Du hast dich mir entzogen, mich aus deinem Leben gestrichen. Du warst dir selbst genug.

Jörg Zink umschreibt den Monatsspruch so: „Ihr habt euch durch alles Böse, das ihr gedacht oder getan habt, ständig verschuldet. Immer länger wurde die Liste, in der verzeichnet war, was ihr Gott schuldig seid und was ihr zurückzuzahlen oder wieder gutzumachen habt.“ Es wird ganz still im Gerichtssaal. Uns stockt der Atem. Was nun? Das Unerwartete, Unverdiente geschieht: „Da hat Christus den Schuldschein genommen, ihn zerrissen und an das Kreuz geheftet, an dem er selbst gestorben ist. Damit ist gesagt: Das alles ist wiedergutgemacht. Das alles ist zurückbezahlt.“

Schuldschein – durchgestrichen! Kein Federstrich mit leichter Hand. Es hat Gott alles gekostet. Es hat ihn das Leben seines Sohnes gekostet. Karfreitag: „Es ist vollbracht“ - wiedergutgemacht. Keine leere Behauptung, sondern von Gott beglaubigt und in Kraft gesetzt. Ostern: Jesus lebt, mit ihm auch ich, der Schuldiggewordene und zum Tod Verurteilte. Mein Schuldschein – durchgestrichen! Am Kreuz durchkreuzt! Ich bin freigesprochen. Ich darf aufatmen und leben. Jubel und Freude! Nun muss ich meine Verfehlungen nicht mehr totschweigen oder schönreden. Ich gestehe meine Schuld ein und stehe zu meiner Verantwortung. Ich lasse mein Gewissen schärfen. Ich bete für Menschen, dass sie Schuld erkennen und aussprechen, dass sie Entlastung erfahren, Vergebung empfangen, mit Gott und Menschen ins Reine kommen. Ich strecke mich aus nach Gottes neuer Welt, wo wir für immer mit ihm und untereinander im Einklang leben. Kein Schuldschein mehr, keiner!

Pfarrer i.R. Ronald Sporn, Neustadt
Falkensteiner Anzeiger, 26.03.2009