Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt

Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet.

Psalm 30, 12

Die Bibel zeichnet ein realistisches Bild des Lebens: Wohl und Wehe, Klage und Tanz, Trauer und Freude. So ist das Leben. Keine Schwarzmalerei und keine rosarote Brille. Freude und Leid - beides gehört zum Leben. Wäre es nicht so, dann wäre das Leben entweder schrecklich oder furchtbar langweilig. Und erst auf dem Hintergrund von Unglück und Leid können wir Freude und Glück als etwas Besonderes erfahren: Nichts ist selbstverständlich, schon gar nicht, dass es mir gut geht.

Die Frage ist nur, ob und wie ich das wahrnehmen kann - und: Wie gehe ich damit um?

Es gibt Menschen, die können sich über gar nichts freuen, weil sie nicht wahrnehmen, dass ihnen viel Gutes geschieht. Sie machen sich selbst und anderen das Leben zur Hölle. Und es gibt Leute, die haben selbst kein Leid kennen gelernt und sind deshalb blind für die Nöte anderer.

„Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet.“ So jubelt ein dankbarer Mensch - ein Mensch, der einige Minuten vorher noch laut sein Leid beklagte: Feinde umzingelten ihn, er sah in den Abgrund des Todes, er spürte den Zorn Gottes und, noch schlimmer, das verborgene Angesicht Gottes. Aber dann … Dann spürte er ebenso körperlich und seelisch, wie Gott ihn befreite aus aller Not und aus allen Ängsten. Gottes Zorn währt einen Augenblick, jubelt er dann, aber lebenslang ist seine Gnade. Und: Weine ich doch am Abend, so lache ich am nächsten Morgen.

Die Psalmen in der Bibel sind eine Fundgrube für Gotteserfahrungen. Da wird nichts verschwiegen, was Menschen zu allen Zeiten erfahren und spüren.

Die über zweitausend Jahre zwischen der Dichtung und unserem Erleben sind kaum zu spüren. Der amerikanische Schriftsteller William Faulkner (1897–1962, Literaturnobelpreis 1950) hat treffend geschrieben: „Es ereignet sich nichts Neues. Es sind immer die alten Geschichten, die von immer neuen Menschen erlebt werden.”

Wir sind andere Menschen in anderen Lebensumständen, aber die Geschichten sind immer wieder die alten: es geht um das Empfinden von Not und Schmerz, von Angst und Tod, von Freude und Glück. Die Psalmen in der Bibel belegen genau dies.

Wer ist Gott? Wie steht er zu mir? Warum sind Gottlose glücklich und warum leiden die Frommen? Warum leide ich? Werde ich bestraft? Es sind immer die gleichen Geschichten, die Menschen umtreiben, ob sie nun mit einem Rind pflügen oder mit einem Traktor, ob sie sich Briefe schreiben oder elektronische Post, ob sie zu Fuß durch die Welt gehen oder fliegen. Schmerz bleibt Schmerz, und die Angst vor dem Tod wird nicht geringer. So sind auch die Erfahrungen Gottes gleich geblieben: Er wendet scheinbar sein Angesicht ab und ich erschrecke – aber des anderen Tages spüre ich wieder seine Nähe in der Liebe eines Menschen.

Das alles bedeutet, dass ich mich getrost den Erfahrungen in den Psalmen anvertrauen kann und sie beten soll. Bessere Gebete sind kaum denkbar.

Die Bibel und mein Glaube helfen mir, das Leben zu verstehen, die Höhen und Tiefen des Lebens anzunehmen und menschenwürdig damit umzugehen, weil mir darin Gott begegnet - als Ansprechpartner für meine Klage und für meinen Dank. Gott begegnet mir in Jesus Christus, dessen Person Freude und Leid, Tod und neues Leben in sich selbst vereinigt und uns alle herausfordert zu dankbarer Liebe, die mit selbst erfahrener Freude dem Wohl anderer dient.

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich

Ihr Pastor Norbert Lötzsch
Falkensteiner Anzeiger, 25.07.2013