Vom Warten auf Weihnachten

Das Warten der Gerechten wird Freude werden.

Sprüche 10, 28

„Wir sagen euch an den lieben Advent, sehet, die erste Kerze brennt!“ Schon bald ist es wieder soweit, dass unsere Kurrendekinder beim Singen dieses Liedes an jedem Advents-Sonntag eine weitere Kerze am Adventskranz anzünden. Der Adventskranz, der ganz zu Anfang sogar 24 Kerzen hatte, wurde 1839 von Johann Hinrich Wichern erfunden, um den Kindern des „Rauhen Hauses“ in Hamburg das Warten auf Weihnachten zu erleichtern. Die gleiche Aufgabe haben ja heute auch die vielerlei Adventskalender. Ja, Warten will gelernt sein! Denn immer wieder im Leben heißt es: Warten! Und dabei tun wir das von Natur aus ganz ungern: Warten an der Ampel, im Stau, im Wartezimmer des Arztes. Einer hat gesagt: „Eigentlich ist das ganze Leben ein Wartezimmer!“ Immer wieder ist Warten angesagt. Worauf haben wir im Leben nicht alles gewartet? Als kleines Kind darauf, dass wir in die Schule kamen. Später, dass die Schulzeit endlich vorbei ist. Dann auf den Ausbildungs- oder Studienplatz. Darauf, dass wir endlich selber Geld verdienen. Darauf, dass wir eines Tags den richtigen Ehepartner finden. Dann auf den Tag der Hochzeit. Auf das Baby. Darauf, bis dasselbe aus den Windeln raus ist. Wie oft warteten wir sehnlich auf den nächsten Zahltag. Und schließlich: auf den Tag, an dem man endlich Rentner wird! Aber auch als Rentner musste man immer wieder warten: Auf einen ersehnten Brief, einen Behandlungstermin oder darauf, dass sich unser angeschlagener Gesundheitszustand wieder bessert. Immer warten, warten! Und irgendwann sitzen wir dann einmal im letzten Wartezimmer. Was ist das Letzte, das wir zu erwarten haben? Der Tod? - Nein! Wir Christen wissen: das Letzte, worauf wir warten, das ist unser HERR, der uns zu sich ruft in Gottes Herrlichkeit! „Seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten“ heißt es in Lukas 12, 36. Das Warten auf ihn ist noch wichtiger als auf die ganzen anderen Dinge, auf die sonst gewartet wird. Aber das Warten auf ihn ist kein verhasstes, sondern ein schönes Warten. Eine Frau erzählte uns hierzu einmal ein Erlebnis aus ihrer Kindheit: Sie wuchs mutterlos in einer armen Familie auf. Trotzdem versuchte der Vater, immer zu Weihnachten den Kindern das Fest besonders schön zu machen. Während er am Weihnachtsabend die Weihnachtsstube herrichtete, mussten die Kinder nebenan im Vorzimmer warten, und das Vorzimmer blieb auf sein Geheiß hin finster, nur ab und zu fiel von nebenan schon ein kleiner Lichtstrahl durchs Schlüsselloch zu ihnen in die Dunkelheit. Und die Frau erinnerte sich: Als Kinder hatten sie dort trotz der Finsternis keinerlei Angst. Es war vielmehr ein wunderbares Warten, voller Spannung und Vorfreude. Und irgendwann war es dann soweit, dass drinnen am Weihnachtsbaum ein kleines Glöckchen läutete. Das Zeichen: Jetzt geht gleich die Tür auf, und wir dürfen herein in den Glanz der Weihnachtsstube! Vielleicht ahnen Sie, warum ich das hier erzähle? Sitzen wir nicht - so betrachtet - ein ganzes Leben lang im Vorzimmer des wirklichen Lebens, nämlich des ewigen Lebens in Gottes himmlischem Reich? Menschen, die das wissen und darauf warten, brauchen keine Furcht mehr vor dem Tod zu haben, weil sie wissen: Wenn mein Herr Christus mich eines Tages holt, dann darf ich mit zu ihm gehen! Seit der Taufe scheint schon ein heller Lichtstrahl aus der Ewigkeit durchs Schlüsselloch zu uns in unser Leben. Und wenn wir dann einmal dort am Ziel sind, hat Gott etwas für uns bereit, wogegen die schönste Weihnachtsstube unserer Kindheit nur ein schwacher Abglanz gewesen ist! Wer das weiß, lebt mit einer ganz anderen Perspektive und kann gerade deshalb auch getrost mit beiden Beinen in der Welt stehen, seine Lebenszeit nutzen, seine Verantwortungsbereichewahrnehmen, sich zum Guten einbringen für andere Menschen – und trotzdem immer auch in Bereitschaft auf seinen Herrn sein. Die Bibel sagt:

„Das Warten der Gerechten wird Freude werden“ (Sprüche 10, 28).

Mit herzlichen Grüßen!

Pfarrer i.R. Helfried Gneuß
Falkensteiner Anzeiger, 28.11.2013