Ein Leben, das passt

Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.

Psalm 73, 23​-​24

In unserer Gesellschaft haben Menschen hohe Ansprüche an das Leben. Es soll passen und insgesamt abgerundet sein. Manchmal erscheint es wie die Quadratur des Kreises – ziemlich unmöglich. Die Zeitschrift Neon 05/2012 betitelt Junge Erwachsene als „Die glückliche Generation“. Obwohl dieses Glück gar nicht so leicht möglich scheint. Denn: „Junge Menschen haben noch nie so hohe und unrealistische Erwartungen an ihr Leben gestellt: Der Partner muss ein Seelenverwandter sein, der Beruf eine Berufung, die Freizeit möglichst international und angenehm“ (Haaf/Bauer in: Neon 05/2012, Wenn ich mal groß bin, S.29) – Ich möchte ergänzen: die Erziehung der Kinder ist fast zu einem Kunstwerk geworden. Familie und Beruf müssen optimal aufeinander abgestimmt sein. Und dann möchte man noch gut und ordentlich und umweltbewusst sein.

Ich finde es gut, hohe Ansprüche zu haben. Wir dürfen bloß nicht abheben. Nicht den großen Rahmen übersehen. Nicht überrascht sein, wenn etwas doch nicht so funktioniert. Nicht neidisch, eifersüchtig und gestresst, wenn andere besser zurecht kommen als wir. Denn gelungenes Leben besteht in Beziehungen und nicht in perfekten Abläufen. Und manchmal scheint sogar alles schief zu gehen. So ging es zumindest dem Mann, dessen Gebet in Psalm 73 zu lesen ist. (Ein paar Sätze daraus sind der Spruch der Kirche für den Monat Juli.) Würde er heute leben, könnten wir mit Fug und Recht von ihm sagen, dass er ein nützliches Glied unserer Gesellschaft ist; ein mehr oder weniger selbstloser und ordentlicher Mensch. Und trotzdem ist er krank, leidet Qualen und wird geschnitten und außerdem noch verspottet. Und er kennt Menschen, die scheren sich einen Dreck darum wie es anderen geht; die kümmern sich nur um ihre eigenen Belange – und es geht ihnen gut; ja sehr gut. Das ärgert den Mann, den dessen Gebet wir in Psalm 73 lesen, und er ist sehr unzufrieden. Und er fragt sich wozu noch alles Bemühen um Redlichkeit, wenn es doch nicht belohnt wird. Arbeitslos, krank, die Ehe kaputt, zerstritten mit den Kindern, die Karriere gestoppt. So würde sich das vielleicht heute anhören. Und unser Mann damals? Er kommt an einen Punkt, wo er aufhört über Gott und die Welt zu reden, zu denken, zu schimpfen sondern wieder anfängt mit Gott zu reden. Und sein Herz wandelt sich. Und er sagt: Dennoch will ich an dir dran bleiben, Gott. „Dennoch“ - nicht mit dem Mut der Verzweiflung, sondern mit dem Mut der Zuversicht.

Ein Leben, das passt, selbst wenn manches aus den Fugen geraten zu sein scheint. „Trotzdem“, denn Du leitest mich Gott. Du hältst mich. Das ist mein Leben. Mein Leben, dass zu mir passt und in das ich passe. Ein Leben, das passt – vom Anfang bis zum Ende und darüber hinaus.

Ich wünsche Ihnen diesen Mut der Zuversicht.

Karsten Hellwig, Prediger der Landeskirchlichen Gemeinschaft Falkenstein
Falkensteiner Anzeiger, 26.06.2014