Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen

Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.

Psalm 18, 30

Liebe Leser,

vor einigen Tagen fiel mir dieser Spruch ins Auge. Er stand in dem Büchlein „Losungen“, das zwei Bibelworte für jeden Tag enthält und vielen Christen ein wichtiger Begleiter ist. Das Stichwort „Mauer“ kommt mir in diesen Tagen oft in den Sinn. In diesem Herbst erinnern wir uns daran, dass vor 25 Jahren „die Mauer“ fiel, der Inbegriff der Teilung der Welt in zwei politische und ideologische Lager, die mitten durch Deutschland ging. Heute noch, jedes Mal, wenn ich über die ehemalige deutsch-deutsche Grenze fahre, muß ich mich an damals erinnern und sage mir: Hier war bis vor 25 Jahren jede Reise zu Ende. Was dahinter kam, war eine andere Welt, mit der wir nichts zu tun haben sollten, weil sie nicht zu unserer Welt, oder auch unserem Weltbild, paßte. Die Mauer begrenzte unsere Bewegungsfreiheit. Aber nicht nur an der Grenze hatte der Staat eine Mauer gebaut. Auch in unseren Köpfen baute er daran: in der Volksbildung, über die Medien, durch offene und versteckte Propaganda.

Dann, plötzlich, fiel die Mauer. Und noch in jener Nacht strömten tausende Menschen in den anderen Teil Deutschlands und wurden herzlich begrüßt. Wir mußten nicht einmal springen. Wir konnten einfach gehen. „Die Mauer ist weg“, diese Nachricht verbreitete sich sich damals in Windeseile weltweit.

Und dann erinnere ich mich an den 10. Jahrestag des Mauerfalles 1999. In jenem Herbst gab es in der Politik einen höchst peinlichen Vorfall: Da stritten sich Politiker und Parteien darüber, wer von ihnen den größten Anteil am Fall der Mauer hatte. Dabei war vielen Christen, auch mir selbst, das immer unstrittig gewesen, wer den größten Anteil daran hat. Eine Ansichtskarte, die ich von einem Freund nach der Wende bekommen hatte, drückte das auf wunderbare Weise aus. Sie zeigte das offene Brandenburger Tor, durch das Menschen hindurch gingen. Und darunter stand: „Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen!“ Ja, Gott hat sie weggeräumt. Meines Wissens hatte es das bis dahin in der Weltgeschichte noch nie gegeben, dass ein System mit seiner Herrschaft und Ideologie stürzt ohne Blutvergießen. So etwas schaffen Menschen normalerweise nicht. „Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen!“ Vergessen wir das nicht! Ich erinnere mich an die vielen Friedensgebete, wo für eine friedliche Veränderung gebetet wurde. Wir haben erlebt, wie Gott auf ganz spürbare Weise eingegriffen hat. Vergessen wir das Danken nicht! Es ist so schnell geklagt über Dinge, die uns nicht gefallen. Aber das Danken sollte dabei nicht hinten runter fallen.

Die sichtbare Mauer fiel über Nacht. Die unsichtbare in den Köpfen brauchte viel länger dazu. In den vergangenen 25 Jahren ist schon viel davon gefallen. Aber neue Mauern entstehen immer wieder in unseren Köpfen - nicht nur unbedingt gegen Menschen aus den alten Bundesländern. Mauern haben oder bilden wir auch gegen Menschen in unserem eigenen Ort, in unserem Umkreis, gegen Menschen mit anderer Lebenseinstellung oder Glaubenshaltung, gegen Menschen aus dem Nachbarort oder der Nachbarschaft. Sie sind nicht sichtbar, aber spürbar. Sie hindern uns daran, voran und zueinander zu kommen. Auch in der Gemeinde können solche Mauern Blockaden sein, dass man voran kommt beim Bau des Reiches Gottes. Gottes Geist will sie in uns einreißen. Gott will sie mit uns überwinden. Danke, dass er sich von Mauern nicht aufhalten läßt. Vor 25 Jahren haben wir es alle miterlebt. Amen

Pfarrer Eckehard Graubner
Falkensteiner Anzeiger, 25.09.2014