Lernt, Gutes zu tun!

Lernt, Gutes zu tun!
Sorgt für das Recht!
Helft den Unterdrückten!
Verschafft den Waisen Recht, tretet ein für die Witwen!

Jesaja 1, 17

Das Wort „EIGENTLICH“ ist ein schlimmes Wort! Es verrät, dass der, der es sagt, zwar genau weiß, was richtig wäre und was er zu tun hätte („Eigentlich müsste ich hier Tempo 30 fahren!“ „Eigentlich müsste ich mich längst wieder einmal um Frau X. kümmern!“), dass er aber genau das nicht vorhat zu tun. Indem wir „eigentlich“ sagen, geben wir uns selbst die Freiheit, es genau anders zu machen, als es sein sollte.

Als Jesaja lebte, von dem diesmal unser Monatsspruch stammt, war in Israel eine Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs und relativ großen Wohlstands. Es ging den Menschen gut, jeder versuchte, das Seine zu mehren und darüber die Hände zu halten. Daneben spielte sich der religiöse Betrieb in traditioneller Weise ab. Eigentlich waren sie ja das Volk Gottes. Aber was fehlte und was Gott an dem Volk richtig traurig machte, war die Tatsache, dass im Volk Brutalität und Gleichgültigkeit immer mehrzunahmen und dafür die Mitmenschlichkeit auf der Strecke blieb. Früher hatte man zusammengehalten, Anteil genommen am Ergehen des Anderen, sich gegenseitig geholfen und in Problemen beigestanden, man war eingetreten für die, denen Unrecht geschah. Das alles aber war mit dem immer mehr zunehmendem Wohlstand den Bach hinunter gegangen. Jetzt war jeder nur noch sich sel bstder Nächste – so nach dem Motto: „Die Menschen sind schlecht. Sie denken an sich. Nur ich denk an mich!“

Das alles machte Gott traurig. Er hatte seinem Volk ja eigentlich einen ganz anderen Umgang unter einander gelehrt. Er schickt Jesaja. Der muss dem Volk ins Gewissen reden: Wenn ihr euch so zueinander verhaltet und dabei noch fromm tut, ist das Heuchelei! Da kann auch der schönste Gottesdienst Gott nicht gefallen! Denn Glaube und mitmenschliches Verhalten gehören zusammen! Lernt, Gutes zu tun! Kehrt um – in eurem Denken und im konkreten Verhalten! Jesaja nennt mit Witwen, Waisen und Unterdrückten Beispiele, die in seiner Zeit besonders aktuell waren.

Wenn wir zweieinhalbtausend Jahre später angehalten werden, diesen Monat darüber nachzudenken, was Jesajas Worte heute für uns bedeuten, dann werden wir feststellen, dass vieles inzwischen ganz anders ist als damals, dass aber trotzdem das Grundproblem nach wie vor dasselbe bleibt: „Lernt, Gutes zu tun! Wendet euch Einer dem Anderen zu!“

Sicher sind es heute andere Lebenssituationen, in denen Menschen jemanden brauchen, der ihnen hilft, und andere Gruppen, an die wir dabei gewiesen werden. Vielleicht kommen auch eines Tages mit Kriegsflüchtlingen, die in ihrer Heimat Syrien buchstäblich alles verloren haben, noch ganz neue Herausforderungen auf uns zu. Sollten wir es uns dann auch so einfach machen, dass wir sagen „EIGENTLICH tun sie uns leid! - aber was können wir für ihr Schicksal? Wir haben genug eigene Probleme!“ Oder sollten wir das dann auch als eine Aufgabe ansehen, bei der Gott uns fordert?

„Lernt, Gutes zu tun!“ Offenbar geht es dabei um einen Lernprozess. Manchmal ist es nicht einfach, zu entscheiden, was genau das Gute in dieser oder jener Situation ist. Manches, von dem wir glaubten, dass es gut sei, erwies sich im Nachhinein als garnicht so gut. Aber zum Lernen gehören eben auch Versuch und Irrtum, Ausdauer und Liebe. In diese Schule müssen wir wohl bis ins hohe Alter gehen. So gehen wir dann auch als Lernende in die Adventszeit, eine Zeit, in der er es besonders viele Möglichkeiten gibt, Gutes zu tun. Eine Zeit auch, in der wir uns auf das Kommen des Sohnes Gottes vorbereiten, der ja selbst seinem Vater in Treue diente, Gutes tat und Benachteiligten zu ihrem Recht verhalf.

Es grüßt Sie herzlich Ihr Pfarrer Gneuß
Falkensteiner Anzeiger, 30.10.2014