Erbarmt euch derer, die zweifeln

Erbarmt euch derer, die zweifeln.

Judas 22

Liebe Leser,

es gibt Zweifel, die sinnvoll sind. Einem Menschen, der uns schon öfter belogen hat, sollte man mit einem gesunden Zweifel begegnen. Das erspart uns weitere Enttäuschungen. Von diesen Zweifeln schreibt Judas in seinem Brief allerdings nicht. Er schreibt von Zweifeln, die unsere Beziehung zu Gott zerstören können. Das sind Glaubenszweifel. Gott ist absolut vertrauenswürdig. Daher sind Zweifel an ihm und seinem Wort eigentlich nicht nötig. Aber in der Realität des Lebens eines Christen gibt es sie trotzdem. Wer glaubt, erlebt Zweifel. Nur wer nicht glaubt, der kennt auch keine Glaubenszweifel. Und es ist nur ehrlich, sich seine Zweifel auch einzugestehen. Wir brauchen sie nicht vor anderen zu verstecken, und schon gar nicht vor Gott. Keiner soll so tun, als wäre sein Glaube immer unerschütterlich. Denn Glaube ist keine Leistung und Zweifel ist kein Versagen. Die Bibel erzählt uns an vielen Stellen von Zweifeln im Glauben. Der Prophet Elia hat an Gottes Macht gezweifelt, als er von der Königin seines Heimatlandes Israel verfolgt wurde. Jesu Jünger haben manchmal gezweifelt. In vielen Psalmen schleudern die Beter Gott ihren Zweifel entgegen. Und Gott hält diese Zweifel aus und verstößt den Zweifler nicht. Zweifel kommen in Lebenskrisen, wo wir Gott nicht mehr verstehen und seine Nähe nicht mehr spüren können. Zweifel kommen nach schweren Schicksalsschlägen und unerhörten Gebeten. Zweifel kommen gerade deshalb, weil wir Gott vertraut haben. Zweifel kommen, wenn Dinge, die wir von Gott erwartet und erbeten haben, nicht eintreffen. Je größer unser Gottvertrauen ist, umso härter können uns auch die Zweifel überfallen. Im Judasbrief wird im griechischen Urtext für „Zweifel“ ein Begriff verwendet, der anders übersetzt auch bedeutet: „im Streit mit jemandem sein“. Wer zweifelt, ist im Streit mit sich. Er ist in sich gespalten. Sein Glaube und seine Erfahrungen passen nicht mehr zusammen. Und er ist auch im Streit mit Gott. Der Gott, dem er geglaubt hat, passt nicht mehr mit dem Gott zusammen, den er erlebt. Zweifel gehören zum christlichen Glauben. Aber sie können gefährlich werden, wenn sie zur Verzweiflung werden. Verzweiflung ist Aufgeben, den Glauben verlieren, sich von Gott abwenden. Verzweiflung ist lebensgefährlich, wenn sie zur Absage an Gott führt. Denn sie bedroht unser Heil. Wie gehen wir mit Menschen um, die zweifeln? Christen, die Zweifel äußern, oder in Zweifeln stecken, erleben manchmal, dass sie von anderen Christen gemieden oder zurechtgewiesen werden. Das ist hartherzig und selbstgerecht. Judas schreibt in einem kurzen Satz, wie wir mit Menschen umgehen sollen, die Zweifeln: „Erbarmt euch ihrer!“ Anders übersetzt: „Habt Mitleid mit ihnen!“ Leidet mit, tragt mit! Zweifel sind Leiden. Menschen in Zweifeln brauchen unsere Begleitung, Ermutigung, Gebet. Durch Zweifel hindurch können wir Gott ganz neu finden. Gott führt uns durch Zweifel hindurch zu einem neuen, veränderten Glauben, zu einer viel tieferen Gotteserfahrung, als wir sie bisher gemacht haben, zu einem neuen, bisher unbekannten Frieden mit ihm. Aber dieser Weg kann steinig sein. Christen, die unter Zweifeln leiden, dürfen auf diesem Weg nicht allein gelassen werden.

Ihr Pfarrer Eckehard Graubner
Falkensteiner Anzeiger, 29.10.2015