Mehrheit und Recht

Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.

2. Mose 23, 2

„Mainstreaming“ ist das Zauberwort, um ganze Gesellschaften zu verändern: Die Meinung einer kleinen Gruppe wird zum Konsens in der Gesellschaft erklärt. Ob eine Sache gut ist oder nicht, wird nicht hinterfragt. Es geht bei dieser Technik darum, Mehrheiten für bestimmte Meinungen zu organisieren. Die Gesellschaftspsychologie gibt dem Recht: Solche Mehrheiten sind organisierbar. Die Bibel zeigt uns einen anderen Weg. Ihre Werte sind gut und eine zuverlässige Hilfe, um sich im Dschungel der Meinungen zu positionieren. Die 10 Gebote kommen von Gott und haben einer Gesellschaft noch nie geschadet, wenn sich die Menschen daran hielten. In ihrem Zusammenhang steht unser Monatsspruch, der uns ermuntert, der Menge nicht auf dem Weg zum Bösen zu folgen. „Weil alle das so machen“ oder „weil ich mir den Mund nicht verbrennen will“, werden schnell Entscheidungen getroffen, die nicht gut sind. Gott sei Dank gibt es immer wieder Menschen, die für die Wahrheit einstehen, auch wenn sie unbequem ist, die das Gute anstreben, auch wenn es ihnen selbst keinen Vorteil bringt. „Du sollst der Menschen nicht auf dem Weg zum Bösen folgen und nicht so antworten vor Gericht, dass du der Menge nachgibst und vom Rechten abweichst.“ (2. Mose 23, 2) In diesem Sinne bekannte es Martin Luther vor Gericht und sagte: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.“ In diesem Sinne bekannte es Petrus, als Tausende Jesus verließen und sagte: „Herr, wohin sollen wir gehen. Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes.“ (Johannes 6, 68​-​69) In diesem Sinne werden auch wir ermuntert, uns heute zum auferstandenen Jesus Christus zu bekennen, zu seinen Werten, wie Barmherzigkeit, Friedens- und Nächstenliebe.

Sind also feste Werte, persönliche Überzeugungen und zeitlose Wahrheiten etwas für Menschen aus der Steinzeit? Manche Diskussionen erwecken diesen Eindruck. Doch oft sind es gerade diese Menschen, die einer labilen Gesellschaft Stabilität vermitteln und ein Hinweis sind auf den, der unserem Leben und Miteinander einen guten und tragenden Grund gibt. Er möchte auch Ihnen eine gute Orientierung geben. Er segne Sie in dieser Sommerzeit.

Pfarrer Jörg Grundmann
Falkensteiner Anzeiger, 27.06.2024




»Muss ich immer der Mehrheit folgen?« Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist. - 2. Mose 23, 2 Monatsspruch Juli 2024

Liebe Leserinnen und Leser, zugegeben, ich habe Angst. Die Wende 1989, als so viele auf auf die Straße gingen, um zu demonstrieren, dass wir das Volk sind und nicht die SED-Regierung in Berlin, blieb gewaltfrei, trotz eines radikalen Umbruchs für uns, das Volk. Inzwischen hat sich das Klima in unserer Gesellschaft, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit sehr verändert. Mich entsetzt der Umgangston, die Gewalt bis hin zum Mord an Andersdenkenden und Anderslebenden. Deshalb habe ich Angst!

Ist es richtig, dass ...

... Menschen, die von einem Diktatur angegriffen oder verfolgt werden und darum fliehen, unsere Unterstützung brauchen?

... Frauen (und auch Männer) aus dem Iran oder auch Afghanistan vor einem Regime flüchten müssen, dass sich auf Gott beruft, aber ganz anders handelt als der Gott, der in der Bibel kundtut, was Recht und Unrecht ist?

... Behinderte ausgegrenzt werden, anstatt Inklusion zu fördern und ihnen Lebensräume zu öffnen?

Sollten wir nicht bewusst für diese Menschen einsetzen? Aber mich ängstigt laut geäußerter Widerstand.

»Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.« Mit diesem Satz aus 2. Mose 23, 2 sagt uns jemand sehr deutlich, dass wir etwas nicht tun sollen. »Du sollst nicht!«

Eigentlich mag ich es nicht, wenn mir jemand sagt, was ich tun und was ich lassen soll. Jedenfalls nicht, wenn es so daherkommt, als sei kein Widerspruch erlaubt. Andererseits ist es mir schon immer schwergefallen, »Nein« zu sagen und mich von der Mehrheit abzugrenzen.

Das Bibelwort bezieht sich in seinem Ursprung auf Gerichtsverfahren, die vor allem Volk, also öffentlich, stattfanden und in denen über das zukünftige Schicksal von Menschen verhandelt wurde. Ist ihnen Unrecht geschehen? Haben sie Unrecht getan? Sind sie falsche Ankläger, die jemandem etwas anhängen wollen? Wird ihnen etwas angehängt? Wie reden die Menschen über sie? Was bleibt hängen, selbst wenn jemand freigesprochen wird? Welche Parteiungen bilden sich? Wer hält zu wem? Und wer behält recht? Erhalte ich auch Recht, wenn alle gegen mich sind?

Wir kennen diese Fragen auch, wenn wir uns in der Öffentlichkeit äußern. Sei es in kleinen oder größeren Gruppen oder in der digitalen Welt. Wir alle haben schon von Cybermobbing gehört und kennen Menschen aus unserem Umfeld, die aus den verschiedensten Gründen gemobbt und ausgegrenzt werden. Es bilden sich Mehrheiten, die beurteilen und manchmal auch verurteilen. Und die Mehrheiten können einen erdrücken. Auch oder erst recht dann, wenn das, was sie behaupten, gar nicht stimmt. Und wenn es stimmt, hat man kaum Chancen, neu anzufangen.

Es ist deshalb immer wichtig sich klarzumachen: Es kommt für mich persönlich gar nicht auf Mehrheiten oder Minderheiten an. Für mich ist wichtig, mich zu vergewissern, dass ich in meiner Sache richtig liege. Und natürlich auch: Wenn Mehrheiten mich bedrängen, mir Hilfe zu suchen und Schutz zu finden. Aber vielleicht ist es gar nicht die Mehrheit, die mir ihre Meinung aufdrücken will, nur die Lautstarken und Aggressiven.

Und bei Hilfe und Schutz bin ich beim Umkehrschluss. Das Bibelwort ermutigt uns auf, zu helfen und zu schützen. Es soll uns sensibel dafür machen, dass in keiner Situation die Mehrheit ein Zeichen dafür ist, ob jemand etwas richtig oder falsch gemacht hat, ob jemand im Recht oder Unrecht ist. Und dass ich in all den Fragen als Christ nach dem Willen Gottes fragen soll - ohne Rechthaberei, Intoleranz und Ausgrenzung, selbst gegen meine Angst.

Joachim Schmiedel, Pastor i.R.
Falkensteiner Anzeiger, 27.06.2024