Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende

Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.

Klagelieder 3, 22​-​23

Liebe Leser,

wenn jemand zornig ist, dann solltest du Abstand von ihm halten. Sonst bekommst du seinen Zorn mit seinen Anklagen und Anschuldigungen ab, auch wenn du gar nichts dafür kannst.

So ging es Gott mit dem Beter dieser Verse: Ich bin der Mann, der Elend sehen muss durch die Rute seines Grimmes. Er hat mich geführt und gehen lassen in die Finsternis und nicht ins Licht. Er hat seine Hand gewendet gegen mich und erhebt sie gegen mich Tag für Tag. Er hat mich ringsum eingeschlossen und mich mit Bitternis und Mühsal umgeben. Er hat mich in Finsternis versetzt wie die, die längst tot sind. Und wenn ich auch schreie und rufe, so stopft er sich die Ohren zu vor meinem Gebet...

Adressat dieser nicht enden wollenden Anklagen ist Gott. Er kriegt den Frust des Beters mit voller Breitseite ab. Anlass für seine Klagen sind eine nationale Katastrophe, die den Beter persönlich genauso betreffen, wie alle anderen Angehörigen seines Volkes: Ihre Heimat wurde von einem fremden Land erobert und die Bevölkerung weggeführt. Auch der Beter und seine Familie waren betroffen. Der Beter beschuldigt Gott für alles, was passiert ist. Seine Vorwürfe gegen Gott beendet er mit dem Satz: Ich sprach: Mein Ruhm und meine Hoffnung auf den HERRN sind dahin. Der Satz ist wie ein Kontaktabbruch zwischen dem Beter und Gott. Anders gesagt: An den Gott, der so etwas tut und zulässt, kann ich nicht mehr glauben. Viele Glaubenswege von Menschen wurden mit so einem Satz beendet. Sie haben die Beziehung zu Gott abgebrochen, mit dem Beten aufgehört und sind auch zu keinem Gottesdienst mehr gegangen, seitdem sich dieser Satz in ihrem Herzen festgesetzt hat. Aber die Verbitterung über die bösen Erfahrungen bleibt. Sie kann nicht mehr verarbeitet werden und setzt sich tief im Herzen fest. Sie bildet den Nährboden für weitere Verbitterungen und weiteren Zorn. Bei jedem geringen Anlass bricht er wieder aus.

Bei dem Beter ist das anders. Über seiner Klage ändert sich seine Stimmungslage: Gedenke doch, wie ich so elend und verlassen, mit Wermut und Bitterkeit getränkt bin!

Er hält an Gott fest, an dem Gott, den er kurz zuvor noch für alles Unglück angeklagt und verantwortlich gemacht hatte. Er erkennt jetzt Gottes Gnade: Es ist trotzdem nicht ganz zu Ende mit uns. In seiner Treue führt er uns weiter und zeigt uns auch einen Weg ins Licht. Die Bitterkeit des Beters hat bei Gott ein Ventil gefunden. Er bekommt wieder Zuversicht und eine verhaltene Freude und Hoffnung kehrt in sein Leben zurück. Gott kann man seinen Ärger entgegenschleudern. Er hält das aus. Er begegnet uns dabei und gibt uns neue Lebenskraft. Nur abbrechen sollten wir die Beziehung zu ihm im Zorn nicht. Sonst wird dieser weiter über uns herrschen.

Es grüßt Sie herzlich Ihr Pfarrer Eckehard Graubner
Falkensteiner Anzeiger, 26.09.2024