Gott nahe zu sein ist mein Glück

Liebe Leser,

Hans steht am Gartenzaun. Er ist auf seine Krücken gestützt. Er beobachtet seinen Nachbarn, wie der gerade ins Auto steigt. Einen „schicken Schlitten“ hat der! Da könnte man neidisch werden, wie der so souverän vom Hof schaukelt. Beim Beschleunigen ist der Motor kaum zu hören. Ja, der Nachbar hatte mehr Glück im Leben als ich, denkt Hans. Schon vor der Wende war der besser dran. Rechtzeitig in die Partei eingetreten ging es mit ihm steil bergauf: Leiter eines großen Kombinates, gute Verbindungen zu Regierungskreisen und Wirtschaftsleuten damals mit dem entsprechenden Insiderwissen, und auch über manche Mitmenschen war er nicht schlecht informiert. Seine Verbindungen und sein Insiderwissen konnte man auch nach der Wende gut verwerten. Und so ging es mit der Karriere weiter. Glück gehabt! Der hat zur richtigen Zeit auf der richtigen Seite gestanden und die richtigen Schritte unternommen, dachte Hans neidisch. Und ich? Ein kleines Licht bin ich geblieben. Ein ganzes Berufsleben lang habe ich im Betrieb nur einfache Arbeiten gemacht. Dass es für mich keinen Aufstieg gab, da hatte wohl mein lieber glücklicher Nachbar seine Hände im Spiel. Er mochte Leute nicht, die in der Kirchgemeinde aktiv sind. Nach der Wende habe ich ihn mal zum Gemeindefest eingeladen. „Kirche, das brauche ich nicht. Ist nur was für Verlierer“, hatte er geantwortet. Während er nach der Wende von dem Konzern, der unser Kombinat aufgekauft hatte, in eine Leitungsposition übernommen wurde, war ich der erste, der auf der Straße gestanden hatte. Seitdem nur noch ABM und ähnliches gehabt. Meine Knie sind kaputt, das Laufen geht nur mühsam. Mein Auto - fast schäme ich mich, mit der Rostlaube aus dem Hof zu fahren. Aber ein neues ist nicht möglich. „Was hat mir mein ganzer Glaube gebracht, der Einsatz in der Gemeinde, die Treue zu meinen Überzeugungen im Betrieb? Stand ich vielleicht doch auf der falschen Seite und dann hat mich das Glück verlassen?“ sagte er halblaut vor sich hin.

„Hans, komm rein, deine Gäste kommen bald!“, hörte er plötzlich seine Frau am Fenster rufen. Ach ja, ich habe ja heute Geburtstag, fiel ihm ein. Und alle werden sie wieder da sein, meine Kinder, Enkel, Freunde aus der Gemeinde und Nachbarschaft. Welches Glück, daß ich so viele Menschen habe! Sie haben mich immer begleitet und werden auch da sein, wenn es mir noch schlechter gehen wird. Bei meinem glücklichen Nachbarn habe ich nie jemanden durch sein bronzebeschlagenes Tor gehen sehen - außer Vertreter. Der hat gar keine Zeit dazu.

Gott nahe zu sein ist mein Glück. Auf dem Bild auf der Titelseite sehen Sie zwei Jünger. In der Mitte zwischen ihnen Jesus. Gerade noch waren sie traurig in ihr Heimatdorf Emmaus gegangen. Sie hatten miterlebt wie Jesus gekreuzigt wurde. Auf der falschen Seite gestanden? Was hat ihnen ihr Glaube und ihre Treue zu Jesus gebracht? Jetzt würden sie auch zu Verfolgten werden! Diese Gedanken belasteten sie auf ihrem Weg nach Hause. Plötzlich erkannten sie Jesus. Den ganzen Weg war er schon unerkannt mit ihnen gegangen - der Auferstandene. Und gleich verschwand er wieder, aber das störte sie nicht. Sie wußten nun, daß Gott ihnen nahe ist - und bleibt. Welch ein Glück!

Gott nahe zu sein ist mein Glück. Vielleicht ist dieses Glück ja nicht immer so sichtbar, so wie auch der Herr, der mir nahe ist, nicht immer spürbar ist. Aber einmal werde ich ganz begreifen, welches Glück ich habe - wenn ich IHM gegenüber stehe. Dann wird der Glücksstern vieler anderer scheinbar glücklicher Leute längst untergegangen sein.

Ein in diesem Sinn glückliches Jahr 2014 wünscht Ihnen

Ihr Pfr. Eckehard Graubner