Lies dich fit - Einführung zum ersten Brief des Paulus an die Korinther

1. Korinth war als Hauptstadt der römischen Provinz Achaia und als Hafenstadt sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer und kultureller Hinsicht eine bedeutende Stadt, in der sich verschiedene Religionen und Kulturen begegneten. Paulus hat die dortige Gemeinde um das Jahr 50 n. Chr. herum auf seiner zweiten Missionsreise gegründet (Apostelgeschichte 18) und hielt sich 1 1/2 Jahre dort auf. Die beiden Korintherbriefe zeigen, dass er einen regen Kontakt zu dieser Gemeinde pflegte. Neben den beiden erhaltenen Briefen gab es wohl weitere, die nicht mehr erhalten sind (1 Kor 5,9). Ferner sandte Paulus Boten nach Korinth (2 Kor 7,5-7) und erhielt auf verschiedenen Wegen Nachrichten aus der Gemeinde. 1 Kor 7,1 erwähnt einen Brief der Korinther an Paulus (siehe auch 1 Kor 1,11: Paulus erfährt durch Leute aus Korinth über Streitigkeiten in der Gemeinde). Neben seinem ersten Besuch ist Paulus wohl noch zwei weitere Male in Korinth gewesen (2 Kor 1,15; 2 Kor 13,1).

2. Den ersten Korintherbrief schrieb Paulus vermutlich im Jahr 55 n. Chr. in Ephesus. (Wie bereits erwähnt gab es einen vorherigen Brief an die Gemeinde, der aber nicht erhalten ist.) Anlass war zum einen ein Brief der Korinther mit verschiedenen Anfragen, unter anderem zu den Themen Ehe oder Ehelosigkeit, Götzenopferfleisch (dürfen Christen Fleisch essen, das zuvor für Götzenopfer verwendet worden war?), Geistesgaben und Auferstehung. Neben diesem Brief aus Korinth erhielt Paulus wohl mündlich Nachrichten über die Situation der Gemeinde, die von Streitigkeiten zwischen Gemeindegruppen (1 Kor 1,10-17) und moralischem Fehlverhalten (1 Kor 5) sprachen. Offenbar war in der Gemeinde in Korinth die Parole im Umlauf: "Alles ist mir erlaubt!" Dahinter stand wohl die Meinung, dass man als Christ bereits in diesem Leben aller irdischen Bindungen und Normen enthoben sei. Paulus stimmt diesem Freiheitsbewusstsein prinzipiell zu (1 Kor 6,12; 10,23), korrigiert es aber zugleich. Christliche Freiheit äußert sich nicht in Hochmut oder ethischer Beliebigkeit, sondern ist von Liebe, Demut und gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt. Sie steht unter dem Zeichen des Kreuzes Jesu Christi, an dem sich Gottes Weisheit offenbart hat (1 Kor 1,18-2,5). Liebe, Demut und Rücksichtnahme sind gewissermaßen die Zügel der Freiheit, denn nicht alles, was mir erlaubt ist, dient auch zum Guten. Und manches, was Freiheit verspricht, kann mich sogar gefangennehmen (1 Kor 6,12).

3. Dies wird nun von Paulus in verschiedener Hinsicht praktisch entfaltet:

a. Einigkeit in der Gemeinde: die Ausrichtung auf das Kreuz Christi lässt keine Parteiungen in der Gemeinde zu, vielmehr stehen alle gemeinsam auf dem einen Fundament: Jesus Christus (Kapitel 1-4). Diese Einheit soll ihren Ausdruck auch in der Feier des Abendmahls (Kap. 11) und im Umgang mit den Gaben des Heiligen Geistes (Kap. 12-14) finden. In all dem soll die Liebe bestimmend sein (Kap. 13). Zur Einheit der Christen gehört schließlich auch die Geldsammlung für die Jerusalemer Gemeinde (Kap. 16).

b. Freiheit in praktischen Lebensfragen: die Zugehörigkeit zu Jesus Christus bringt ein hohes Maß an Freiheit. Ob jemand also in der Ehe lebt oder in der Ehelosigkeit, ob jemand beschnitten ist oder nicht, ob jemand ein Herr ist oder ein Knecht, dies alles sind weltliche Ordnungen (Kap. 7). Menschen leben immer in solchen weltlichen Ordnungen und Lebenszusammenhängen, aber sie sollen sie gebrauchen, als bräuchten sie sie nicht (1 Kor 7,31). Diese christliche Freiheit berührt auch den Umgang mit Götzenopferfleisch (übrig gebliebenes Opferfleisch wurde damals auf dem Markt verkauft), das dem Glauben nichts schaden kann, solange man es in Freiheit isst. Wichtig ist für Paulus aber, dass dadurch nicht andere in ihren Gewissen beschwert werden (Kap. 8-10).

c. Konsequenzen: die christliche Freiheit ist aber keine ethische Beliebigkeit, vielmehr hat die Zugehörigkeit zu Jesus Konsequenzen für das praktische Handeln. Daher werden unmoralische Verhaltensweisen (Kap. 5), aber auch mangelnde Rücksichtnahme der Wohlhabenden auf die Bedürftigen (Kap. 11) scharf kritisiert.

d. Leben in Erwartung der endzeitlichen Auferstehung: gegenüber der schwärmerischen Frömmigkeit der Korinther, die sich gewissermaßen bereits mit beiden Beinen im Himmel wähnten, betont Paulus, dass Christsein in dieser Welt unter dem Zeichen des Kreuzes steht (siehe oben). Die endzeitliche Vollendung steht noch aus, erst dann wird der Tod endgültig besiegt und das Leid überwunden sein (Kap. 15).

Dr. Thomas Knittel, Pfarrer z.A.


Einführung zu: Evangelien, Matthäus, Markus, Lukas, Apostelgeschichte Römer, 1. Korinther, 2. Korinther, Galater, Philipper, Kolosser, Thessalonicher, Timotheus, Titus, Philemon, Johannes, Hebräer, Jakobus, Judas, Offenbarung