Lies dich fit - Einführung zum Briefe an die Galater

1. Der Brief richtete sich an mehrere Gemeinden im Gebiet der heutigen Stadt Ankara (Türkei). Paulus hatte sie um 50 n Chr. gegründet (siehe Apostelgeschichte 16,6 und 18,23). Bald danach waren andere (streng gesetzliche) Missionare in diese Gemeinden gekommen und hatten die Beschneidung (siehe z.B. Gal 5,2) und die Einhaltung bestimmter heiliger Zeiten (Gal 4,10) gefordert. Es ging dabei um die Frage, ob die alttestamentlichen Gesetze in ihrer Gesamtheit auch für die Christen Verbindlichkeit hatten. Diese Frage stellte sich besonders in den Gemeinden, die - wie in Galatien - weitgehend aus Heidenchristen bestanden, also aus Menschen, die vor ihrer Bekehrung zum Christentum keine Juden waren.

2. Paulus hat die Beschneidungsforderung für nichtjüdische Christen abgelehnt, ebenso wie er generell eine streng gesetzliche Einhaltung des Alten Testaments ablehnte. Er sah darin einen Rückfall in den Versuch, durch die Einhaltung des Gesetzes das Heil zu erlangen. Das Gesetz muss aber als Heilsweg ausscheiden, weil der Mensch als Sünder das Gesetz nicht einhalten kann. Wer durch das Gesetz vor Gott gerecht werden will, der hat Christus verloren und ist aus der Gnade gefallen (Gal 5,4). Denn der Weg zu Gott führt über den Glauben, nicht über die Einhaltung des Gesetzes (Gal 3), und deshalb steht das Evangelium über dem Gesetz. Zur Begründung dieses Kernsatzes seiner Verkündigung beruft sich Paulus auf drei gewichtige Instanzen: 1. die Offenbarungen, die ihm von Gott zuteil wurden (Gal 1); 2. die Beschlüsse der Apostelversammlung in Jerusalem (Gal 2, siehe auch Apostelgesch. 15); 3. das Alte Testament (das freilich damals noch nicht so hieß, denn das Neue Testament war ja erst im Entstehen). Bereits bei Abraham wird deutlich, dass der Glaube über dem Gesetz steht (Gal 3).

3. Welche Bedeutung hat dann aber das Gesetz? Zunächst gilt: man darf den Galaterbrief nicht als einzige Orientierungshilfe in dieser Frage heranziehen. Denn es ist aus der Entstehungssituation des Briefes verständlich, dass Paulus hier weitgehend negativ vom Gesetz spricht. Anders sieht dies z.B. im Römerbrief aus, wo es um ähnliche Fragen geht. Paulus lehnt das Gesetz nicht an sich ab, vielmehr ist es heilig, und Gottes Gebote sind gerecht und gut (Römer 7,12). Obwohl es also zum Leben dienlich sein sollte, entwickelte es eine gegenteilige Funktion: es macht dem Menschen seine Sünde vor Gott deutlich. Darum muss es als Heilsweg ausscheiden, wohl aber führt es auf indirekte Weise hin zu Gott, weil es den sündigen Menschen in die Arme des gnädigen Gottes treibt. Diese Funktion verliert es logischerweise für diejenigen, die zum Glauben an Jesus Christus gelangt sind (Gal 3,25). Und aus diesem Glauben erwächst nun eine große Freiheit (5,1), die durch einen Rückfall unter das Gesetz wieder preisgegeben würde. Das bedeutet nun nicht, dass für Christen etwa keine Regeln mehr gelten würden. Paulus spricht aber hier bewusst nicht von Gesetzen, sondern von "Früchten des Geistes" (Gal 5,22), z.B. Nächstenliebe, Geduld und Freundlichkeit. Zusammenfassend kann man daher folgendes sagen: Nicht jede einzelne Bestimmung des alttestamentlichen Gesetzes (also z.B. die Beschneidungsforderung oder die Speisegebote) behält für Christen Gültigkeit. Aber der Sinn des Gesetzes, den man mit den Begriffen Gottes- und Nächstenliebe zusammenfassen könnte, bleibt auch für Christen bestehen, nicht im Sinn eines Heilsweges, sondern als Folge des neuen Lebens, das uns Gott im Glauben schenkt.

4. Geschrieben wurde der Brief an die Galater ungefähr 55 n.Chr. In die Abfolge der datierbaren Paulusbriefe ordnet er sich folgendermaßen ein: 1. Thessalonicher, 1. Korinther, 2. Korinther, Galater, Römer, Philipper, Philemon. Die übrigen Briefe (2. Thessalonicher, Kolosser, Epheser, 1. / 2. Timotheus, Titus) lassen sich schwer datieren. Wie bereits erwähnt, entstammen sie wohl ganz oder teilweise der Hand von Schülern des Paulus, die im Sinne ihres Lehrers seine Lehre weiter verbreiteten. Dass sie das unter dem Namen ihres Lehrers taten, war in der Antike kein ungewöhnlicher Vorgang und galt auch nicht als verwerflich.

Dr. Thomas Knittel, Pfarrer z.A.


Einführung zu: Evangelien, Matthäus, Markus, Lukas, Apostelgeschichte Römer, 1. Korinther, 2. Korinther, Galater, Philipper, Kolosser, Thessalonicher, Timotheus, Titus, Philemon, Johannes, Hebräer, Jakobus, Judas, Offenbarung