Lies dich fit - Einführung zum Brief des Paulus an die Römer

1. Paulus, der die Gemeinde in Rom bislang nicht persönlich kennen gelernt hat, betrachtet seine Wirksamkeit im Osten des römischen Reiches als abgeschlossen (Römer 15,23-24) und möchte nun seine Mission im Westen (Spanien) fortsetzen. Auf dem Wege dorthin möchte er nach Rom kommen. Zuvor allerdings will er nach Jerusalem reisen, um dort eine Kollekte, die er gesammelt hat, zu übergeben (15,25-28). Der Brief an die römische Gemeinde ist um 56 n. Chr. in Korinth entstanden. Paulus verfolgt damit zwei Ziele: er hofft auf Fürbitte und Unterstützung im Bezug auf seine Jerusalemreise und die geplante Mission in Spanien, und er möchte Missverständnissen und Anfeindungen seiner Theologie entgegentreten. Hinweise auf solche Missverständnisse bzw. Anfeindungen finden wir z. B. in Römer 3,8; 3,31; 6,1; 7,7. Unter anderem ging es dabei um den Vorwurf, dass Paulus mit seiner Predigt das alttestamentliche Gesetz entkräften würde und dass dadurch das Bemühen um einen gottgefälligen Lebenswandel geschwächt würde.

2. Der Römer ist deshalb ein sehr grundsätzliches Schreiben, in dem Paulus seine Lehre detailliert entfaltet. Programmatisch steht am Anfang der Hinweis auf die Kraft des Evangeliums (1,16-17). Dann schildert Paulus die Mächtigkeit der Sünde, die über alle Menschen herrscht (1,18-3,20; 3,23). In dieser Hinsicht sind Juden (die das Gesetz Gottes kennen) und Nichtjuden (die Gottes Wesen und Ordnungen aus der Schöpfung erkennen könnten) gleich. Deshalb kann kein Mensch aus eigener Kraft vor Gott gerecht sein, sondern er kann nur im Glauben das geschenkte Heil annehmen (3,28). Ein Beispiel solchen Glaubens ist Abraham (Kapitel 4). Das neue Leben, das uns durch Christus geschenkt wird, beschreibt Paulus dann in den Kapiteln 5-8. Durch Christus haben wir Frieden mit Gott und sind durch die Taufe von der Macht der Sünde und des Todes befreit. Das Gesetz kann nicht länger über uns herrschen, vielmehr leben wir in der Kraft des Heiligen Geistes, der in uns die Hoffnung auf die Vollendung der Schöpfung wach hält. Aus der Gleichrangigkeit von Juden und Nichtjuden vor Gott (sowohl im Hinblick auf die Sünde als auf die Errettung durch Christus) ergibt sich die Frage nach der Stellung Israels, die Paulus in den Kapiteln 9-11 behandelt. Israel bleibt Gottes besonders erwähltes Volk, auch wenn viele davon die Gerechtigkeit aus dem Glauben nicht ergriffen haben. Den Nichtjuden gibt dies keinen Grund zur Überheblichkeit, vielmehr vertraut Paulus fest darauf, dass auch ganz Israel am Ende gerettet wird. Die Wege Gottes sind ja für uns Menschen ohnehin unbegreiflich (11,33-36). In den folgenden Kapiteln behandelt Paulus ethische Fragen. Er wendet sich damit auch indirekt gegen den Vorwurf, seine Predigt von dem Vorrang des Glaubens vor den Werken mache den christlichen Lebenswandel bedeutungslos. Im Gegenteil: die Gerechtigkeit aus dem Glauben verändert das gesamte Leben eines Menschen. Paulus spricht in 12,1 von der Hingabe des Leibes an Gott, das meint, dass im Grunde das ganze Leben mit all seinen Alltäglichkeiten ein Gottesdienst sein soll. Aus der geschenkten Rettung durch Gott wachsen die Werke wie Früchte, sie sind nicht Voraussetzung, sondern Folge. Die Werke sind also keineswegs bedeutungslos, sie stehen aber unter der großen Überschrift der Freiheit (Kapitel 14).

3. Für die lutherische Kirche hat der Römer von jeher einen besonderen Stellenwert gehabt. Martin Luther bezeichnet ihn als Hauptstück des Neuen Testaments, weil er über der Lektüre des Römer Gott neu verstehen gelernt hat. Er war zunächst davon überzeugt, dass man Gott mit seinen Werken Genüge tun müsse, und merkte dabei doch, dass dies nicht funktionierte. Wer durch die Erfüllung des Gesetzes Gottes Gefallen erlangen will, wird sich immer nur seiner Unzulänglichkeit bewusst werden. Für Luther war es deshalb befreiend, im Römerbrief zu lesen, dass der Mensch einzig und allein durch den Glauben gerettet wird. Und so wurde die Parole "allein aus Glauben" zu einem Leitmotto der Reformation, aus der ja dann die evangelische Kirche hervorgegangen ist. Allerdings hat sich auch das Verständnis des Römerbriefes innerhalb der katholischen Kirche gewandelt, und die theologischen "Fronten" von damals sind heute nicht mehr gegeben. Daher muss dieser Brief heute nicht mehr als etwas Trennendes zwischen uns stehen, und es hat eine schöne Symbolik, dass gerade im Jahr der Bibel evangelische und katholische Christen gemeinsam den Römerbrief zum Thema der Bibelwoche gemacht haben.

Dr. Thomas Knittel, Pfarrer z.A.


Einführung zu: Evangelien, Matthäus, Markus, Lukas, Apostelgeschichte Römer, 1. Korinther, 2. Korinther, Galater, Philipper, Kolosser, Thessalonicher, Timotheus, Titus, Philemon, Johannes, Hebräer, Jakobus, Judas, Offenbarung