Lies dich fit - Einführung zu den Briefen an die Thessalonicher

Der erste Brief an die Thessalonicher

Der erste Thessalonicherbrief (= 1. Thess) ist der älteste erhaltene Brief des Paulus und wurde vermutlich um 50 n. Chr. in Korinth geschrieben. Paulus hatte die Gemeinde in Thessalonich auf seiner zweiten Missionsreise gegründet (siehe Apostelgeschichte 17). Die Gemeinde bestand aus jüdischen und nichtjüdischen Gemeindegliedern, allerdings hatte sie auch heftige Anfeindungen von Seiten anderer jüdischer Mitbürger zu erleiden (Apg. 17,5-9). In diesem Zusammenhang stehen wohl auch die harten Worte gegen die Juden in 1. Thess 2,14-16, die nicht grundsätzlich antijüdisch verstanden werden dürfen (siehe dazu z.B auch die Äußerungen des Paulus über Israel in Römer 9-11).

Im Zentrum des Briefes steht das Thema der Wiederkunft Christi. Jedes einzelne Kapitel schließt mit einem Ausblick auf sein Kommen (1,9-10; 2,19; 3,13; 4,13-18; 5,23). Ein besonderes Problem der Gemeinde in Thessalonich war die Frage, was mit den Gemeindegliedern geschieht, die vor der Wiederkunft Christi verstorben sind (siehe 1 Thess 4,13). Man rechnete damit, dass diese Wiederkunft unmittelbar bevorsteht und fragte sich, ob die Verstorbenen diese Ereignisse dann "verpassen" würden. Ganz offensichtlich hat Paulus selbst damit gerechnet, dass Christus noch zu seinen Lebzeiten wiederkommen würde (siehe 1 Thess 4,15). Die Antwort des Paulus auf die Frage der Gemeinde ist eine doppelte: a) die verstorbenen Gemeindeglieder werden bei der Ankunft Christi auferstehen (4,16) und gemeinsam mit den noch Lebenden "bei dem Herrn sein alle Zeit" (4,17); b) der Tag des Herrn wird ganz unerwartet kommen, wichtig ist deshalb nicht die Kenntnis genauer Termine, sondern ein Leben in beständiger Erwartung des kommenden Herrn.

Ein solches Leben ist geprägt durch Dankbarkeit (1,2; 2,13; 3,9; 5,18), Geduld in Bedrängnissen (1,6; 3,3-4), Leben nach Geboten Gottes (4,1-12), Wachsamkeit (5,4-11; 5,21: Prüft alles, das Gute behaltet!) und Gebet (5,17).


Der zweite Brief an die Thessalonicher

Auch im zweiten Brief an die Thessalonicher (= 2. Thess) steht der "Tag des Herrn" im Mittelpunkt (siehe Teil 3). Allerdings geht es hier um eine ganz andere Situation. Offenbar gab es in der Gemeinde Menschen, die sagten: "der Tag des Herrn ist schon da" und die sich dabei auf Paulus berufen haben (2,2). Anders als in 1. Thess 4 wird deshalb hier nicht die bald bevorstehende Ankunft Christi betont, sondern dass der Tag des Herrn noch aussteht und vorher eine Zeit der Bedrängnis kommen muss (2,3-12). Aufgrund dieser veränderten Situation (und bestimmter sprachlicher Besonderheiten des 2 Thess, die ihn von anderen Paulusbriefen unterscheiden) nehmen viele Bibelwissenschaftler an, dass der 2. Thess von Schülern des Paulus aus der nachfolgenden Generation verfasst wurde, die Missverständnisse der paulinischen Lehre korrigieren wollten. Dass sie dabei unter dem Namen ihres Lehrers schrieben, ist ein in der Antike nicht ungewöhnlicher Vorgang.

Wie auch immer man sich die Entstehung des 2 Thess vorstellen mag, wichtig ist, dass die beiden Thessalonicherbriefe inhaltlich eng zusammengehören. Die beiden Briefe markieren sozusagen die beiden Pole, zwischen denen sich die Erwartung der Wiederkehr Christi bewegt. Auf der einen Seite steht die Gefahr, den Tag des Herrn aus dem Blick zu verlieren, weil er so fern in der Zukunft zu liegen scheint. Hier ist es wichtig, mit dem 1 Thess daran zu erinnern, dass dieser Tag "wie ein Dieb in der Nacht" kommt und schon heute das Leben der Christen prägen will. Auf der anderen Seite steht die Gefahr, das Kommen des Herrn vorwegzunehmen. Immer wieder wurden im Verlauf der Geschichte Termine für das Kommen Christi genannt, und Menschen gaben ihre ganze Existenz auf, weil sie damit rechneten, dass es mit der Welt zu Ende ginge. Hier ist es wichtig, mit dem 2 Thess eher zu betonen, dass der Tag des Herrn in der Zukunft liegt, und dass der Schöpfungsauftrag, die Erde zu bewahren und zu bewahren nach wie vor Gültigkeit hat.

Dr. Thomas Knittel, Pfarrer z.A.


Einführung zu: Evangelien, Matthäus, Markus, Lukas, Apostelgeschichte Römer, 1. Korinther, 2. Korinther, Galater, Philipper, Kolosser, Thessalonicher, Timotheus, Titus, Philemon, Johannes, Hebräer, Jakobus, Judas, Offenbarung