Rettung für alle Menschen

Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.

1. Timotheus 2, 4

Diese Worte klingen wie eine amtliche Verlautbarung, wie eine Absichtserklärung von höchster Instanz: Gottes Wille - Rettung für alle Menschen! Ich wundere mich. Sind wir denn in Gefahr, gar in Lebensgefahr, dass Rettung nötig ist? Gleichen wir Bergsteigern, die abgestürzt - oder Bergleuten, die eingeschlossen - oder Unfallopfern, die schwer verletzt sind? Ich lebe doch. Es geht mir einigermaßen gut. Ich komme hin. Was fehlt mir denn? Gott? Ja, gut - ein Kindheitstraum, eine Lebensverzierung; ein Notnagel in schweren Tagen - aber sonst? Das Leben ist hart genug. Ich muss meinen Mann stehen. Ich muss sehen, wo ich bleibe. Gott? Andere mögen ihn brauchen. Ich kann mit ihm nichts anfangen - so die nüchterne Bilanz vieler Zeitgenossen.

Ich erinnere mich an ein Theaterstück von Wolfgang Borchert (1921-1947). Es wurde zwei Jahre nach Kriegsende in Hamburg uraufgeführt und trug den Titel "Draußen vor der Tür." Ein Heimkehrer kommt aus der Gefangenschaft und findet die Türen verschlossen. Seine Frau - in den Armen eines anderen. Die Eltern - mit Gas vergiftet. Der Direktor des Kabaretts - zu feige, um ihn zu engagieren. "Draußen vor der Tür" - ein Mensch sucht Heimat, Halt, Hilfe - und erfährt: Ich bin grenzenlos allein, ins Dasein geworfen, zum Tode bestimmt. Ein Bild für unser Leben?

Gott macht sich Gedenken, wie uns zu helfen ist. Er gibt uns Richtlinien für unser Leben, damit es nicht scheitert. Wir schlagen sie in den Wind, oder wir schlagen uns an die Brust: Sieh, Gott, wie gut ich bin! - und missachten Gottes Willen in beidem. - Gott gibt uns hin und wieder einen Denkzettel, wenn wir's gar zu arg treiben: Verfeindete Völker schlagen sich die Köpfe ein, ehe sie zur Vernunft kommen. Pausenlos Tätige finden sich in der Wachstation wieder, bevor sie zur Besinnung kommen. Doch Gott weiß: Wirklich zu helfen ist uns mit alledem nicht. Die Hilfe muss an die Wurzel gehen.

Schon Menschen setzen - in oft wagehalsigen Rettungsaktionen - alles ein, um Menschenleben zu retten, notfalls unter Drangabe des eigenen Lebens. Sollte Gott weniger zu opfern bereit sein? Nein!

Gott bringt sich selber ins Spiel und setzt dabei sein Leben aufs Spiel. Er stirbt "draußen vor der Tür", vor den Toren der Stadt Jerusalem, Jesus, der Mann aus Nazareth, und wird so zum Retter für alle Menschen, die "draußen vor der Tür" des Vaterhauses ihr Leben fristen. Seiner Hingabe verdanken wir das Leben. Denn Gottes Wille - Rettung für alle Menschen - ist keine leere Absichtserklärung, sondern eine vollzogene Friedenserklärung.

Nun müssen wir nicht mehr den 10 japanischen Soldaten der einsamen Pazifikinsel Guam gleichen, die sich am Ende noch im Kriegszustand glaubten, obwohl der Kampf längst zu Ende war. Wir dürfen uns auf den Boden des vollzogenen Friedens stellen. Wir brauchen keine Verlorenen mehr zu sein. Wir dürfen zu Heimkehrern Gottes werden.

Ich habe in jungen Jahren diese "gute Nachricht" (Evangelium) vernommen. Sie hat mir das Herz abgewonnen. Mir sind die Augen aufgegangen: Das ist sie, die Wahrheit, die mein Leben trägt und zugleich die innerste Mitte der Welt ist. Sie kann nicht verborgen bleiben. Sie muss unter die Leute kommen.

Sie will ausgeplaudert, ausgerufen, ausgestrahlt werden; im persönlichen Gespräch, von Kanzeln und Kathedern, durch TV und Internet, in allen Sprachen auf allen Kontinenten: Gottes Wille - Rettung für alle Menschen! Gott braucht uns für sein Rettungswerk. "Ich möchte Leuchtturm sein und Wind - ... für jedes Boot - und bin doch selbst ein Schiff in Not", schreibt Wolfgang Borchert. "Ein Schiff in Not" - wohl wahr, - aber nicht dem Untergang geweiht, sondern auf dem Weg ans andere Ufer.

Ich mache Ihnen Mut, sich auf diesen Weg einzulassen.

Pfarrer i.R. Ronald Sporn
Falkensteiner Anzeiger, 26.04.2004